Flugkapitän darf renitente Passagiere aus dem Flugzeug weisen

OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.12.2010 – 13 U 231/09

Ein Flugkapitän ist berechtigt, Passagiere aus dem Flugzeug zu weisen und deren Beförderung abzulehnen, wenn diese sich weigern, seinen Anordnungen Folge zu leisten. Den Passagieren steht in diesem Falle kein Schadensersatzanspruch gegen den Luftbeförderer zu.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 18. Zivilkammer – 6. Kammer für Handelssachen – des Landgerichts Darmstadt vom 26.08.2009 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des zweiten Rechtszuges fallen der Klägerin zur Last.

Gründe

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Das Rechtsmittel war gemäß § 522 II ZPO ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

2

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch eignet sie sich zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne des § 522 II Nr. 2, 3 ZPO. Die Entscheidung des Senats basiert vielmehr auf der im Hinweisbeschluss des Senats vom 16.11.2010 (vgl. Blatt 283 – 289 d. A.) zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und erschöpft sich im Übrigen in der Würdigung eines Einzelfalles.

3

Die Berufung ist – wie es in § 522 II Nr. 1 ZPO weiter vorausgesetzt wird – auch unbegründet. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats vom 16.11.2010 (vgl. Blatt 283 – 289 d. A.) wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

4

Die Ausführungen im Schriftsatz der Klägerin vom 20.12.2010 (vgl. Blatt 306 – 311 d. A.) geben keinen Anlass zu einer anderen Einschätzung.

5

Die vorliegend von der Klägerin (allein) verfolgten privatrechtlichen Schadensersatzansprüche stehen der Klägerin nicht zu.

6

Darauf, dass auf das streitgegenständliche Rechtsverhältnis nach Art 27 EGBGB alter Fassung deutsches Recht anzuwenden ist, hat der Senat in seinem Beschluss vom 16.11.2010 hingewiesen. Die Parteien sind dieser Einschätzung mit Rücksicht auf ihre Erklärungen in der mündlichen Verhandlung vom 24.02.2009 nicht entgegen getreten.

7

Die Klägerin kann sich daher – vom Ansatz her zutreffend – auf die im Hinweisbeschluss des Senats angesprochene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. NJW 1983, 448 f) berufen, der zufolge die Beklagte sich im Rahmen der von ihr geschuldeten Beförderung ein etwa fehlerhaftes Verhalten ihrer Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB zurechnen lassen muss, und wonach auch der verantwortliche Luftfahrzeugführer zum Kreis der Erfüllungsgehilfen gehört.

8

Soweit die Klägerin nicht zuletzt auch über ihren Schriftsatz vom 20.12.2010 zutreffend hervorhebt, dass jedes einzelne Mitglied der aus 146 Personen bestehenden Reisegruppe einen Anspruch auf Beförderung gehabt hat, wird das selbst von der Beklagten nicht anders gesehen.

9

Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen im Schriftsatz vom 20.12.2010 hält der Senat jedoch an der darauf aufbauenden Würdigung der tatsächlichen Abläufe und daran fest, dass Klägerin das (Fehl-)Verhalten der Mitglieder der Reisegruppe nicht ausreichend berücksichtigt.

10

Dass der Flugkapitän während des Fluges auf Grund ihm verliehener, luftpolizeilicher Hoheitsgewalt im Sinne des § 12 III des am 15.01.2005 in Kraft getretenen LuftSiG (vgl. auch die frühere Regelung in § 29 III LuftVG) bzw. im Sinne der Art. 5 und 6 des Gesetzes zu dem Abkommen vom 14.09.1963 über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen (kurz: Tokioter Abkommen bzw. LuftStrAbk) die geeigneten Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung an Bord zu treffen hat, stellt die Klägerin zwar ebenso wenig in Abrede wie die Tatsache, dass deshalb alle an Bord befindlichen Personen den insoweit notwendigen Anordnungen des Flugkapitäns Folge zu leisten haben (vgl. BGH in NJW 1983, 448 f). Die Klägerin verkennt ausweislich ihres Schriftsatzes vom 20.12.2010 auch nicht, dass im vorliegenden Vertragsverhältnis nicht nur die Beklagte Leistungen zu erbringen hatte, sondern dass vielmehr auch die Mitglieder der Reisegruppe ein vertragsgerechtes Verhalten schuldeten.

11

Die Klägerin unterbewertet allerdings den Umstand, dass die vertragsgerechte Beförderung überhaupt erst möglich wird, wenn die Fluggäste sich an die allgemein bekannten flugtechnischen Sicherheitsbestimmungen halten und sich insbesondere auf den ihnen zugewiesenen Platz setzen und sich anschnallen.

12

Dass ein Teil der zur Reisegruppe gehörenden Fluggäste der Anschnallpflicht nicht gerecht geworden ist, steht auf Grund der erstinstanzlichen Vernehmung der Flugbegleiter und des Flugkapitäns zweifelsfrei fest. Danach ist davon auszugehen, dass zumindest ein Teil der Mitglieder der Reisegruppe nach Beginn des Startvorgangs wieder von den Sitzen aufgestanden ist und sich trotz wiederholter Aufforderungen weigerte, sich wieder hinzusetzen.

13

Der Flugkapitän durfte die Mitglieder der Reisgruppe daher auf Grund des Vertrages zunächst auffordern, sich entweder zu setzen und anzuschnallen, oder aber auszusteigen. Nachdem die flugunwilligen Gäste gleichwohl nicht ausstiegen, sich aber auch der Aufforderung nicht beugten, sich zu setzen und sich anzuschnallen, blieb dem Flugkapitän aus den Gründen des Hinweisbeschlusses, auf die ausdrücklich verwiesen wird, keine andere Wahl als die Reisegruppe von Bord zu weisen und den Flug mit der Boing 676 ohne die Reisegruppe durchzuführen.

14

Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang auf die – auch vom Senat nicht verkannte – Sprachbarriere verweist, übersieht sie, dass der Flugkapitän seine wiederholten Anweisungen nicht nur in englischer, sondern auch in französischer und in deutscher Sprache gemacht hat, und dass die jeweiligen Durchsagen auch durch den als Reiseleiter der Gruppe fungierenden Geschäftsführer der Klägerin nochmals für die Gruppenmitglieder übersetzt worden sind (vgl. insoweit die Aussagen der Zeugen Z1 und Z2, Blatt 140,147 d. A.).

15

Mithin ist davon auszugehen, dass sich die Mitglieder der Reisgruppe sehr wohl darüber bewusst waren, dass sie sich entweder anschnallen und mitfliegen konnten, oder aber das Flugzeug verlassen mussten.

16

Dass sich (abgesehen von einer dreiköpfigen Familie) weitere Mitglieder der Reisegruppe um eine Beförderung bemüht hätten und durch den Flugkapitän daran gehindert worden wären mitzufliegen, ist dem insoweit substanzlosen Vorbringen der Klägerin nicht zu entnehmen.

17

Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 20.12.2010 andeutet, dass es flugwilligen Passagieren auf Grund der Sprachbarriere nicht möglich gewesen sei, sich entsprechend zu erklären, liegt diese Argumentation erkennbar neben der Sache.

18

Darum ging es nicht. Das zeigt bereits die Tatsache, dass der genannte Reiseleiter bei Verständigungsschwierigkeiten ohne Weiteres hätte um Hilfe gebeten werden können. Abgesehen davon ist den Angaben des als Zeugen vernommenen Flugkapitäns, dessen Bekundungen im Übrigen mit den Aussagen des Zeugen Z1 und der Zeugin Z2 in Einklang stehen, zu entnehmen, dass der als Reiseleiter der Gruppe fungierende Geschäftsführer der Klägerin sich an den Kapitän gewandt und ohne jede Einschränkung erklärt hatte, er habe seine Reisegruppe „nicht mehr im Griff“, die Mitglieder der Gruppe wollten aussteigen, weshalb es, wenn das Flugzeug abfliege, zu einer „Panik“ kommen werde. Vor diesem Hintergrund und angesichts des Umstandes, dass es dem Flugkapitän trotz intensiver Bemühungen und wiederholter Lautsprecherdurchsagen nicht einmal im Rahmen anschließender Gespräche mit einer in den Fluren des Flugzeuges stehenden Gruppe von mindestens zwanzig Personen gelang, für Ruhe zu sorgen, war ein abschließendes Einschreiten des Piloten geboten und vertraglich gerechtfertigt.

19

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass in einem Teil der Boing zu Beginn des Startvorgangs ein auffallender Geruch zu bemerken gewesen war. Denn wenn die Fluggäste deshalb beängstigt waren, hätten sie von der ihnen ausdrücklich eröffneten Möglichkeit Gebrauch machen können, auszusteigen. Den Transport der flugwilligen Gäste durften sie demgegenüber auf keinen Fall blockieren oder zeitlich beeinträchtigen.

20

Gemessen an diesen Vorgaben fehlt es bereits an einer schuldhaften Vertragsverletzung der Beklagten, die nach bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen einen Schadensersatzanspruch rechtfertigen könnte.

21

Die Kostenentscheidung findet ihre Rechtsgrundlage in § 97 I ZPO.

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